Die Verkehrswende darf nicht durch Luftschlösser gefährdet werden!

Die Mobilitätsverbände wie MoVeBs fordern eine konsequente Umsetzung der Planungen „SPNV 2030+“ des Regionalverbands Großraum Braunschweig (RGB) für einen emissionsfreien Schienenverkehr.

Dazu Peter Westphal, Mitglied von MoVeBs: „Wir fordern die Politik auf, sachlich begründete Entscheidungen zu treffen und keine Profilierung zu Lasten des Schienenverkehrs zu betreiben. Der Regionalverband hat hier gute Arbeit geleistet und der Politik eine sachlich einwandfreie Einschätzung gegeben: Langfristig muss das Netz komplett mit Oberleitungen ausgestattet werden, bis dahin sollten Batteriezüge die Brücke in die Klimaneutralität liefern. Eine vollständige Elektrifizierung des Schienennetzes macht den Betrieb flexibler und damit störungsfreier.“

Aus Teilen der Politik, welche dem gutachterlich gestütztem Konzept SPNV 2030+ bereits zugestimmt hatten, gibt es nun Forderungen, statt der Batterie-/Oberleitungs-Technik auf die Nutzung von Brennstoffzellen zu setzen. Die Fachliteratur (s.u.) sagt, dass dies aus ganz unterschiedlichen Gründen verkehrs- und industriepolitisch nicht sinnvoll ist.

Unsere Argumente:

Wasserstoffantriebe haben hohe Verluste
Für die Darstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse wird etwa die drei- bis vierfache Menge an Primärenergie benötigt und damit mehr Anlagen zur Erzeugung von Strom, z.B. Windräder oder PV-Anlagen, denn dieser Strom muß grün sein! Diese Menge an regenerativ erzeugtem Strom haben wir nicht und werden sie auch so schnell nicht haben.

Die Nutzung von Wasserstoff im Brennstoffzellenantrieb hat wiederum sehr geringe Wirkungsgrade, letztendlich kommen etwa 30 % der Primärenergie im Antrieb an!

Die beiden Wasserstoffzug-Pilotprojekte (Taunus, Bremervörde) in der Bundesrepublik nutzen Wasserstoff, der in dortigen Industrieanlagen „abfällt“. In unserer Region muss er verlustreich mit Windrädern und PV-Anlagen erzeugt werden und wäre sinnvoller als industrieller Grundstoff in z.B. in der Stahlverhüttung einzusetzen, wo er alternativlos ist.

Infrastrukturelle Nachteile weiterer Antriebstechnologien
Eine Ausweitung der Antriebe in unserem Regionalbahnnetz bedingte auch verschieden ausgestattete Werkstätten; doppelter Aufwand bei Ersatzteilen, Instandhaltung, spezialisiertem Personal und Sicherheitsbereichen wären die Folge. Unnötige Betriebskosten sind unbedingt zu vermeiden!

Verschiedene Antriebe bedeuten auch kleinere Flotten der jeweiligen Technologie und u.U. einen höheren Fahrzeugbedarf (Betriebs- und Werkstoffreserven je Antriebsart)

Nur wenn im Betrieb günstige Fahrzeuge in der Region verkehren, können sie in solch großer Zahl und Dichte fahren, dass sie eine Alternative zum Auto darstellen. Besonders teure Fahrzeuge sind somit kein Beitrag zu einer Verkehrswende und sollten nur im Einzelfall zum Einsatz kommen.

Mangelnde betriebliche Zuverlässigkeit
Wasserstoffzüge verkehren seit einigen Jahren, dennoch sind sie bis heute als sehr anfällig für Ausfälle bekannt (siehe Taunusbahn). Die Fahrgäste erwarten aber zu Recht Verlässlichkeit.

Negative Auswirkungen auf regionale Verkehrsprojekte
Wasserstoffzüge sind bei Anschaffung und im Betrieb besonders teuer. Das würde sich in der Standardisierten Bewertung bei Reaktivierungsvorhaben (wie z.B. dem Spargelexpress) zusätzlich negativ auswirken. Eine politische Entscheidung pro Wasserstoffantriebe gefährdet diese für den ländlichen Raum wichtigen Projekte, die ohnehin schon große Hürden überwinden müssen.

Zweifel am Nutzen für die lokale Wirtschaft
Um die lokale Wirtschaft zu stärken macht es Sinn, Fahrzeuge zu kaufen, die zu großen Anteilen hier gebaut werden. Alstom bietet alle Arten von emissionsfreien Antrieben, die Brennstoffzellen werden jedoch im Ausland beschafft.

Die Fahrzeugbeschaffung muss europaweit ausgeschrieben werden. Es bestehen jedoch Zweifel daran, dass die lokal produzierten Wasserstoffzüge i-LINT den fahrdynamischen Erfordernissen des Bahnnetzes im Verbandsgebiet erfüllen und somit wettbewerbsfähig sind.

Wir fordern die Vollelektrifizierung

Die emmissionsärmste und nachhaltigste Antriebstechnologie besteht aus regenerativ erzeugtem Strom, der in die Oberleitung eingespeist und ohne Zwischenspeicherung in Bewegungsenergie umgesetzt wird.

Wie der RGB haben bundesweit viele Aufgabenträger Untersuchungen von Antriebstechnologien vornehmen lassen. Beziehen sie sich immer auf den Einzelfall der lokalen Gegebenheiten, kommen sie stets zu dem Ergebnis, dass ab einem Halbstundentakt die langfristig wirtschaftlichste Lösung die Vollelektrifizierung ist. In den Fahrbeziehungen Braunschweig <-> Umland ist das nach SPNV 2030+ der Regelfall. Wasserstoffbetriebene Lösungen kommen hingegen eher bei Netzen mit einem Takt längergleich 60 Minuten und langen nicht elektifizierten Abschnitten in Frage.

Die Wirtschaftlichkeit von Oberleitungen hängt nicht alleine vom Schienenpersonenverkehr ab, sondern auch vom Güterverkehr. Jeder Meter Oberleitung ist auch ein Beitrag zu einem klimaneutralen Gütertransport.

Batteriezüge (BEMU) als sinnvolle Übergangstechnologie
Batteriezüge sind bewährt, betriebssicher und auch aus regionaler Produktion verfügbar.

Batteriezüge sind verglichen mit den in Betrieb befindlichen Dieselfahrzeugen und Wasserstoffzügen beschleunigungsstärker. Das eröffnet wichtige Potenziale bei der Fahrzeitverkürzung, dem Aufholen von Verspätungen bzw. der Errichtung weiterer Haltepunkte bei gleicher Fahrzeit.

Jede Elektrifizierung ist ein Schritt auf dem Weg zur Vollelektrifizierung und somit besonders nachhaltig.

Weitere Hürden für die Elektrifizierung abbauen (Gesetzgebung)
Anpassung der Kostenteilung nach Eisenbahnkreuzungsgesetz derart, dass z.B. beim Neubau von Straßenbrücken über künftig zu elektrifizierende Bahnstrecken die Eisenbahn bestenfalls die tatsächlich anfallenden Mehrkosten tragen muss.

Siehe auch:

https://www.umweltbundesamt.de/print/75686
„…Die kostengünstigste Option für den Umbau des Verkehrs zu einem treibhausgasneutralen Sektor sind laut einer neuen Studie Elektrofahrzeuge. Der teuerste Weg wäre ein Umstieg auf Brennstoffzellenfahrzeuge, die aus erneuerbarem Strom hergestellten Wasserstoff nutzen. Diese Option würde gegenüber einer möglichst direkten Nutzung von Strom im Zeitraum 2020 – 2050 rund 600 Milliarden Euro mehr kosten…“

VDB-LEITFADEN: EMISSIONSFREIE MOBILITÄT – eine Strategie für den Einsatz von
batterieelektrischen Triebzügen und Ladeinfrastruktur in Deutschlands Schienenpersonennahverkehr
„…Elektrischer Bahnverkehr bietet schon heute dank der Oberleitung das Potential, lokal vollständig emissionsfrei zu fahren und die Städte so von Schadstoffen zu entlasten. Gleichzeitig ist elektrischer Bahnverkehr technisch sehr zuverlässig und potentiell am schnellsten auf nahezu emissionsfreie Energieversorgung umzustellen.
Etwa 60 % des gesamten deutschen Eisenbahnnetzes sind schon heute elektrifiziert. So wird unmittelbar nutzbare Traktionsenergie bei Fahrt unter Oberleitung gesichert. Doch dieses Netz bildet zugleich eine umfangreiche und leistungsfähige Ladeinfrastruktur für die Speicher batterieelektrischer Triebzüge, die bereits genormt, erprobt und zuverlässig ist. Die Elektrifizierung wichtiger Eisenbahnstrecken, welche teilweise bereits im Bundesverkehrswegeplan enthalten ist, schreitet parallel dazu weiter voran.
Im Anschluss an Oberleitungsabschnitte und zwischen elektrifizierten Strecken gibt es trotzdem noch häufig Lücken, die durch Züge mit innovativer Antriebs- und Speichertechnik und die Nutzung des vorhandenen Oberleitungsnetzes als Ladeinfrastruktur überbrückt werden können. Eine Übersicht der TU Berlin zeigt, dass Dieselstrecken in der Regel kurze Abschnitte im Schienennetz sind, die häufig direkt in elektrifizierte Streckennetze übergehen.
Ungefähr 80 % dieser Linien besitzen einen Zugang zum elektrischen Netz, sodass viele Linien von innovativen, schon marktreifen und erhältlichen batterieelektrischen Triebzügen befahren werden können. Würde man die Endpunkte der derzeit oberleitungslosen mit Diesel befahrenen Nahverkehrslinien mit einer Ladestation ausstatten, so ließe sich bereits ein erheblicher Teil der Strecken, darunter auch viele grenzüberschreitende Verbindungen, auf vollelektrischen gänzlich emissionsfreien Betrieb umstellen….“

https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/sustainability-innovation/2022/WP01-2022_Alternative_Antriebe_im_Schienenverkehr_Frank_Gnann.pdf

https://www.vde.com/resource/blob/2208166/856e76b3bf2c31104030c12127e0f0bd/2022-09-19-wasserstoff-schienenverkehr-impulspapier-data.pdf

Kritik und Anregungen zum Nahverkehrsplan 2020

Alle fünf Jahre erstellt der Regionalverband Großraum Braunschweig (RGB) als Aufgabenträger für den öffentlichen Nahverkehr einen Nahverkehrsplan (NVP), der den augenblicklichen Zustand und Weiterentwicklungen des Bus- und Bahnangebotes beschreibt.

Der Nahverkehrsplan 2020 des Regionalverbands Großraum Braunschweig

Wir von MoVeBs haben den neuen Nahverkehrsplan 2020 durchgearbeitet, den Inhalt geprüft, und müssen leider feststellen, dass es sich im Wesentlichen nur um eine Fortschreibung des bestehenden Plans von 2016 handelt. Es sollen viele Verbesserungsvorschläge und -maßnahmen (aus der Region) geprüft werden, doch es gibt keinerlei verbindlichen Terminierungen, ob und wann diese Prüfaufträgen dann auch konkret umgesetzt werden.

Vor allem fehlt ein Plan für den Ausbau des schienengebundenen ÖPNV in der Region; hier wird nur das Bisherige fortgeschrieben und nicht einmal erläutert, warum Maßnahmen, die bereits 2012 und 2016 beschlossen waren, nun wieder den Status „Prüfauftrag“ haben sollen. Weder werden der kommende Deutschland-Takt, noch Pläne und Initiativen  berücksichtigt, das Schienennetz der Region zu erweitern.

Anstatt sich in Einzelmaßnahmen und Prüfaufträgen zu verzetteln, erwarten wir vom RGB die Entwicklung einer übergeordneten, an den Bedürfnissen der jetzigen und künftigen ÖV-Nutzer_innen orientierten Netzstruktur, die die verschiedenen ÖV-Arten sinnvoll miteinander verknüpft und zukunftsorientiert ist.

Wir erwarten weiter Zielvorgaben für den bis 2025 zu erreichenden Anteil des ÖPNV am Gesamtverkehr in der Region. Hier finden sich nur blumige Allgemeinplätze im NVP. Dazu haben wir in unserer Stellungnahme anhand zweier Teilnetze im Norden Braunschweigs und des grenzüberschreitenden Verkehrs ins Nachbarland Sachsen-Anhalt konrete Vorschläge entwickelt.

Das Phänomen Critical Mass

Viele Städte in Deutschland wurden in den 60er Jahren als „autogerechte“ Stadt aufgebaut. Möglichst einfaches und gutes Vorankommen mit dem Auto galt hierbei als Maßstab guter Verkehrspolitik. In neu erichteten Stadtteilen (wie in Braunschweig die Weststadt oder Heidberg) konnten relativ einfach breite, für hohen Autoverkehr ausgelegte Straßen einfach eingeplant werden. In den innerstädtischen Bereichen konnten dagegen vielfach keine weiteren Flächen für den Autoverkehr gefunden werden – außer es wurden, wie teils leider geschehen, historische Straßenzüge abgerissen und breite Straßen angelegt. Das Ergebnis ist nun, dass der innerstädtische Bereich den Autoverkehr aus den umliegenden Bereichen nicht mehr aufnehmen kann und es regelmäßig zur Überfüllung (=Stau und Parkplatznot) kommt. Als klassisches braunschweiger Beispiel könnte man hier die Lange Straße nennen.

Viele Städte versuchen nun ein Ende der autogerechten Stadt. Dabei kommt der Wille zum Umstieg vermehrt nicht unbedingt aus der Politik, sondern direkt aus dem Kreise der Bürger. Auch die Mitglieder von MoVeBS sehen eine Stärkung der Alternativen des Autos (ÖPNV, Fahrrad, ggf. Fußverkehr) als notwendig an, um für die Zukunft ein flüssiges, umweltfreundliches und sozialverträgliches Verkehrssystem aufzubauen.

Eine Bewegung, die ebenfalls direkt aus dem Kreise der (radfahrenden) Bürger kommt, ist die Protestbewegung Critical Mass. Hierbei wird die in der StVO verankerte Möglichkeit zur Bildung eines geschlossenen Verbandes genutzt, um dann auf der Fahrbahn fahrend wie ein Fahrzeug z.B. über die Ampel fahren zu können (auch wenn die Ampel zwischenzeitlich auf Rot umspringt, dürfen alle Radfahrer dieses Verbundes weiter fahren).

Critical Mass am Radeklint

Critical Mass am Radeklint

In Braunschweig treffen sich jeden letzten Freitag im Monat um 19:00 alle Teilnehmer/Interessierten zur gemeinsamen Fahrt durch Braunschweig. So fanden sich beim letzten Mal (29. Mai) laut Facebook-Seite der Critical Mass über 200 Leute zur gemeinsamen Fahrt durch Braunschweig. Auch in Braunschweig wird der Wille des Bürgers zum Wandel in der Prioritätensetztung der Verkehrspolitik mehr und mehr deutlich.

Treffen am Hauptbahnhof vor der gemeinsamen Fahrt

Treffen am Hauptbahnhof vor der gemeinsamen Fahrt

Rasengleis: Attraktive Stadtgestaltung und Lärmreduktion

Die Ausführung von Straßenbahngleisen kann je nach Einsatzort- und zweck unterschiedlich sein: Gleise, die von anderen Verkehrsmitteln befahren oder von Fußgängern betreten werden können sollen, werden als Rillenschiene fest eingepflastert, betoniert oder asphaltiert ausgeführt. Gleise, die unabhängig vom übrigen Verkehr betrieben werden, können als Schottergleise oder Rasengleise ausgeführt werden.

Gerade letzteres bietet einen hohen gestalterischen Wert im Stadtbau: In sonst recht grauen Stadtlandschaften lassen sich grüne Farbakzente setzen. Diesen Nutzen haben in den letzten Jahren insbesondere die Franzosen zu wissen genutzt und so grüne Bänder durch ihre Städte gelegt (siehe Bild 1). Neben dem gestalterischen Nutzen kann das Gleis aber auch durch einen wasserdurchlässigem Aufbau (weniger Flächenversiegelung) punkten. Für die Anwohner einer Stadtbahnstrecke besonders interessant: Ein Rasengleis mit hoch liegender (d.h. an den Schienenkopf ragende) Rasenfläche ist besonders leise:

 

Oberbauform bzw. Schwellenart dB(A)
Holzschwellen 52,8+-0,9
Betonschwelle 52,9+-0,8
Feste Fahrbahn eingedeckt 57,6+-0,6
Rasengleis mit tiefliegendem Rasen 54,3+-1,3
Rasengleis mit hochliegendem Rasen 50,3+-1,3

(Vergleiswerte unterschiedlicher Gleisarten. Quelle: Torben Hoetter: Wege zur leisen Straßenbahn. Universität Rostock)

In Braunschweig hat sich das Rasengleis zunächst nur an wenigen Stellen durchgesetzt, wie z.B. in Stöckheim (vgl. Bild 2).  Aktuell wird das Rasengleis allerdings vermehrt eingebaut (wie z.B. an der Wendenstraße, vgl. Bild 3). Wir begrüßen aufgrund der Vorteile den Einbau dieser Gleise und setzen uns dafür ein, dass dies auch in Zukunft an geeigneten Stellen der Fall sein wird.

LyonBild 1: Rasengleis der Lyoner Straßenbahn

StöckheimBild 2: Rasengleis in Braunschweig-Stöckheim

WendenstraßeBild 3: Im Bau befindliches Rasengleis im Bereich Wendenstraße